Island

Gletscher in Island

Was kann ich über Island schreiben, das noch nicht geschrieben wurde? Es gibt unheimlich viel gute Reiselektüre. Alle renommierten Reisebuchverlage haben Island in ihrem Programm. Denn seit Jahren boomt die Insel als Destination, und das umfassende Angebot einschlägiger Literatur bildet diese Nachfrage sehr gut ab. Ergänzend zur klassischen Reiseliteratur, die sich mit Land und Leuten, Sehenswürdigkeiten, Klima und Geschichte befasst, gibt es über Island eine Vielzahl an Büchern, die ein paar Besonderheiten dieser Insel aufzeigen: So erzählt „Das kleine Buch über das verborgene Volk…“ zwanzig Elfengeschichten, man wandelt „Auf den Spuren von Elfen und Trollen…“ und „Andere müssen zur Therapie. Ich muss einfach nach Island…“ betont den therapeutischen Effekt dieser Insel im Nordmeer. Spezielle Titel für „Individualreisende mit Mietwagen“, „Outdoor Wanderführer“ oder „Mit dem Wohnmobil nach Island“ sagen viel aus über die bevorzugte Art des Reisens auf dieser Insel. Sie ist ein Paradies für Individualisten, für Outdoor-Fans, die sich für spektakuläre Landschaften, für aktive Vulkane, riesige Gletscher, eindrucksvolle Wasserfälle, sprudelnde Geysire, alte und neue Lavafelder, Moos-Teppiche und eine vielfältige Vogelwelt interessieren. Auch das Bedürfnis nach Einsamkeit, nach Stille und nach Tagen ohne jegliche menschlichen Kontakte kann ein Motiv sein. Genauso wie Lust auf Abenteuer, die sich beim eiskalten Tauchen in der Kontinentalspalte, im Inneren eines Gletschers oder beim Herantasten an einen aktiven Vulkan befriedigen lässt. Island bietet jedem etwas. Wem es nicht gefällt, dem ist nicht zu helfen.

Für alles und jeden gibt es die passende Literatur. Einen weiteren Beitrag über Islands Sehenswürdigkeiten oder Kuriositäten zu schreiben, macht wenig Sinn. Dies überlasse ich den zahlreichen Autoren, die schon viel Zeit in ihre Recherchen investiert haben und alles Wissenswerte – gut aufbereitet – den interessierten Reisenden zur Verfügung stellen. Von mir gibt es daher hier nicht mehr und nicht weniger als eine sehr persönliche Liebeserklärung an Island, den zaghaften Versuch, diese Liebe in Worte zu fassen, sie irgendwie zu erklären und für andere greifbar zu machen.

Gibt es Liebe auf den ersten Blick? Was für eine Frage! Gibt es Verliebtsein, das nie vergehen wird? Einen Geliebten, der nie enttäuschen kann? Diese Fragen kann ich in Bezug auf Island mit einem überzeugten „JA“ beantworten. Island hat mir den Kopf verdreht, schon am ersten Tag, bereits beim ersten Mal. Seitdem – und ich war gewiss schon zwei Dutzend Male dort – erfüllt mich Sehnsucht, wenn ich an Island denke und Trauer, wenn ich wieder abreisen muss. In Island möchte ich Papst sein und den Boden küssen, wenn ich aus dem Flughafengebäude trete. Ich atme zunächst ein paar Mal tief ein, nirgendwo sonst fühlt sich das so intensiv an. Ich bin da, angekommen. Man kann „Isländische Luft“ in Dosen sogar für daheim kaufen. Schlagartig fühle ich unerklärliche, tiefe Zufriedenheit, Euphorie und zugleich innere Ruhe. Es geht mir einfach gut. Mein Herz pendelt sich auf einen regelmäßigen Rhythmus ein, es beruhigt sich und stolpert nicht mehr.
Schon die kurze Fahrt vom Flughafen auf der Halbinsel Reykjanes in die Hauptstadt ist für mich ein Erlebnis: Die weiten dunklen Lavafelder, die je nach Jahreszeit durchsetzt sind von lila blühenden Alaska-Lupinen oder auch mal bedeckt von Schnee oder Raureif. Kurz vor dem einzigen Ballungszentrum auf Island tauchen linker Hand die rot-weiß-geringelten Silos des ältesten Aluminiumwerkes auf, die an Zuckerstäbe erinnern, aber auch an das kontroverse Thema „Schutz der Natur versus wirtschaftliche Ausnutzung der natürlichen Ressourcen“, die in Island vor allem mit billigen Energiekosten gleichzusetzen sind.

„Sie werden Ihr Ziel erreichen, auch wenn Sie langsam reisen.“

Isländisches Sprichwort

So billig, dass es sich lohnt, Bauxit aus der ganzen Welt per Schiff nach Island zu bringen, dort in Aluminium zu verwandeln und die fertigen Alu-Barren wieder zurück in die ganze Welt zu verschiffen. So billig, dass in Reykjavik dank der Geothermalenergie durchaus auch mal Gehsteige und Hauseinfahrten beheizt werden. Das ist nicht das einzig Erstaunliche an dieser Stadt, deren Erkundung von Mal zu Mal noch lohnender wird. Das moderne Operngebäude Harpa mit seiner Bienenwaben-Glasfassade, das überaus fotogene Wikingerschiff „Sonnenfahrt“ am Meeresufer mit Blick auf den Hausberg Esja, der berühmteste Hotdog-Stand der Insel und das Penismuseum sind nur ein paar Sehenswürdigkeiten, die vielleicht neugierig machen auf mehr. Doch Reykjavik ist nicht Island und Island ist nicht Reykjavik.

Island bietet so viel und überrascht mich immer wieder. Anfangs war ich überzeugt davon, dass der kurze „Hochsommer“ die beste Reisezeit ist. Bietet er doch die größten Chancen auf ein bisschen wärmere Temperaturen und auf mehr Trockenheit. Die Tage wollen nie enden, und die Sonne geht nicht mehr unter. Dann war ich zum ersten Mal im April / Mai dort und begeistert von der besonderen Stimmung, dem Licht und der Vorfreude der Isländer auf die kommenden Monate. Der Sommeranfang fällt in Island immer auf den ersten Donnerstag nach dem 18. April und ist ein offizieller Feiertag. Oft ist es dann aber noch richtig frostig, gefeiert wird auf jeden Fall. Denn es gibt nur diese zwei Jahreszeiten: Sommer und Winter. In unserem mitteleuropäischen Herbst, im September / Oktober habe ich dann in einer Saison einmal gleich mehrere Reisen hintereinander gemacht. Auch das war eine ungewöhnliche Erfahrung. In wenigen Wochen wandelte sich der Anblick der Insel. Ich war zunächst begeistert von der unerwarteten Vielfalt der Farben dank der herbstlichen Vegetation. Zahlreiche Gelb- und Rottöne in allen Variationen prägten die Landschaft. Island ist sonst – abgesehen von den riesigen Flächen lila blühender Alaska-Lupinen – in Bezug auf die Pflanzenwelt klimatisch bedingt nicht besonders farbenfroh. Mit zunehmender Kälte verwandelte sich Island jedoch im Laufe jenes Oktobers in ein Winterwunderland mit einerseits herbstlichem Laub in allen Farben, andererseits Eisblumen auf den Pflanzen und mancherorts auch leichter Schneedecke. So hatte ich meine geliebte Insel noch nie erlebt. Ich war einmal mehr begeistert. Jetzt fehlt mir nur noch der tiefe Winter, im Idealfall mit einer dicken Schneedecke (was in Island allerdings in Küstennähe eher die Ausnahme ist) und mit den Nordlichtern. Denn Aurora Borealis hat sich mir bisher standhaft verweigert.

Geysir Island

„Es gibt keinen Ort auf dieser Welt, der so einfach zu erreichen ist, um sich verloren zu fühlen.“

@mischko_thilo

Zum Abschluss meiner Liebeserklärung möchte ich gerne noch ein paar Informationen, Gedankenfetzen loswerden, die vielleicht neugierig machen auf Island. Island hat eine Ringstraße, auch bekannt als Highway 1 und Route 1, die auf circa 1.300 Kilometer Länge einmal rund um die Insel führt (in der Regel zweispurig, es gibt zwischendurch aber auch einspurige Brücken). Es ist Geschmacksache, ob man lieber im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn fährt. Beides hat Vor- und Nachteile, ich habe dazu natürlich meine persönliche Meinung. Oft ist das Wetter im Süden gut, wenn es im Norden schlecht ist, oder umgekehrt. Man kann mit seiner Entscheidung über die „richtige“ Richtung also Glück oder Pech haben. Jährlich wird am 1. März der „Beer Day“ gefeiert. Nach Jahrzehnten der Prohibition ist seit 1. März 1989 der Verkauf und Konsum von Bier wieder erlaubt. Die Preise für Alkohol liegen allerdings im internationalen Vergleich sehr hoch. So ist jede Islandreise für mich auch eine Zeit der Abstinenz.

Island Pferd

Sardinien hat weiße Strände, das Meer lädt zum Baden ein. In Island sind die meisten Strände schwarz, und das Meer ist eiskalt und lebensgefährlich. Heiß sind die vielen aktiven Vulkane. Island liegt direkt auf einer höchst aktiven Zone zwischen den Kontinentalplatten. Erst kürzlich hat einer dieser Vulkane auf der Halbinsel Reykjanes ein eindeutiges und eindrucksvolles Lebenszeichen von sich gegeben. Vor mittlerweile mehr als zehn Jahren hat „der Unaussprechliche“ (Eyjafjallajökull) Island international in die Schlagzeilen gebracht. Auch bei der EM 2016 in Frankreich war Island in aller Munde. Bei ihrer ersten Europameisterschaft ist nicht nur ein Zehntel der gesamten Bevölkerung ins Gastgeberland geflogen, die isländische Fußballnationalmannschaft kämpfte sich auf Anhieb in die K.o.-Phase, schlug im Achtelfinale die Engländer und scheiterte erst im Viertelfinale am Gastgeber Frankreich. Europa staunte, Island jubelte – und durch die Stadien hallte der „Viking Clap“, ein rhythmisches Klatschen, begleitet von lauten „Húh“-Rufen. Die Schlachtrufe der isländischen Fußballfans begeisterten weltweit (ein Privatmann hat sich das Wort „Húh“ als Marke gesichert – sehr zum Ärger der Isländer über diese Aneignung). 

Überall gibt es Fußballplätze, auch hoch im Norden in Akureyri, wo sich außerdem der nördlichste 18-Loch-Golfplatz der Welt befindet. Dort, wo die Ampeln seit dem großen Wirtschaftskollaps bei Rot ein Herz zeigen, um das Herz der Menschen wenigstens ein wenig zu erfreuen. Island hat sich erstaunlich schnell vom Bankencrash erholt, was am Fleiß und der Mentalität der Menschen liegt. Sie sind ein sympathischer und robuster Menschenschlag, so wie auch die berühmten Pferde robust sind. Ohne sie und die Schafe wäre eine Besiedlung vor über tausend Jahren unmöglich gewesen. Hart war es dennoch, selbst für abenteuerlustige Wikinger, und mehrmals stand das Leben auf der rauen Insel auf der Kippe. Unzählige Naturkatastrophen wie verheerende Vulkanausbrüche und Gletscherläufe, heftige Winterstürme und unpassierbare reißende Flüsse, machten den Menschen das Leben oft schwer. Erst das zwanzigste Jahrhundert hat wesentliche Erleichterungen gebracht. Doch das naturnahe Leben ist geblieben. Auch heute genießen Isländer und Touristen mit Wonne die natürlichen heißen Quellen. Mit Überraschungen ist immer zu rechnen, sei es ein Vulkanausbruch oder Schneesturm. Das macht jede Reise zu einem kleinen Abenteuer.
Akureyri Island

4 Kommentare

  1. Toller Beitrag!

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    • Vielen Dank! Schön, dass dir der Beitrag gefällt 🙂

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  2. Hallo Natalie, waren mit Dir auch auf Island. War anscheinend ein anderes Island – diese Bilder zeigen ein anderes Island. Toll gemacht, viel Erfolg!

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    • Hallo Fritz, du hast Recht! Island ist so vielseitig, es präsentiert sich jedes Mal wieder anders. Die Jahreszeiten mit ihren vielfältigen Farben, das wechselhafte Wetter, das unglaubliche Licht – Island ist abwechslungsreich und überraschend. Immer wieder…

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